Nichtamtlicher Leitsatz:
"Einm Telefonanruf reicht nicht aus, um sich arbeitslos zu melden. Die Behörde darf Sanktionen wie eine Sperrzeit und Kürzung des Bezuges von Arbeitslosengeld I aufgrund der verspäteten Meldung einrichten."
Tenor:
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 23. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2012 verurteilt, der Klägerin bereits ab 26. Mai 2012 Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt ½ der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen eine Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung.
Nach einem früheren Bezug von Arbeitslosengeld erhielt die Klägerin eine Entgeltbescheinigung von der Beklagten vom 25.Oktober 2010. Dort findet sich unter der Überschrift "Wichtig für Sie:" der Hinweis:
"Sie müssen sich spätestens 3 Monate vor dem Ende eines Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend melden.Um Ihnen die Arbeitsuchendmeldung zu erleichtern, können Sie uns die Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses vorab mitteilen und einen Termin zur persönlichen Arbeitssuchendmeldung vereinbaren.Wenn Sie sich nicht rechtzeitig oder nicht wirksam arbeitsuchend melden, ohne einen wichtigen Grund zu haben, tritt eine Sperrzeit ein."
Am 29. September 2011 verlängerte die Klägerin einen befristeten Arbeitsvertrag bis zum 25. Mai 2012. Der Arbeitgeber teilte der Klägerin mit Schreiben vom 23. April 2012 mit, daß keine weitere Verlängerung erfolge.
Am 30. April 2012 meldete die Klägerin sich arbeitsuchend. Am 07. Mai 2012 meldete sie sich zum 26. Mai 2012 arbeitslos. Die Klägerin wurde zu einer Sperrzeit angehört. Sie trug vor, sie habe sich schon im Februar 2012 bei dem JobCenter, einer Frau XXX, arbeitsuchend gemeldet. Frau XXX habe gesagt, sie müsse sich melden, wenn sie wisse, ob ihr Vertrag verlängert werde oder nicht.
Mit Bescheid vom 23. Mai 2012 stellte die Beklagte eine Sperrzeit vom 26. Mai bis 01. Juni 2012 fest. Mit weiterem Bescheid vom 23. Mai 2012 bewilligte die Beklagte ab 02. Juni 2012 Arbeitslosengeld. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie trug vor, sie habe Frau XXX am 29. Februar 2012 angerufen, um sich rechtzeitig vor Ablauf des Arbeitsvertrages zu melden. Diese habe sich das offensichtlich nicht notiert und sie auch nicht darauf hingewiesen, daß sie sich bei der Agentur für Arbeit melden müsse. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2012 zurückgewiesen. Die Beklagte führte zur Begründung im Wesentlichen aus, zur Vermeidung einer Sperrzeit nach § 38 Abs. 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) sei die Klägerin verpflichtet gewesen, sich drei Monate vor Ende des Arbeitsverhältnisses bei ihr arbeitsuchend zu melden. Dies habe die Klägerin nicht getan. Ein Telefongespräch mit dem JobCenter könne keine Arbeitsuchendmeldung darstellen.
Daraufhin hat die Klägerin am 09. Juli 2012 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, der Arbeitgeber habe ihr an sich eine weitere Verlängerung des Arbeitsverhältnisses zugesichert. Trotzdem habe sie sich bei Frau XXX telefonisch gemeldet, um sich arbeitsuchend zu melden. Die Arbeitsuchendmeldung bei einer anderen Behörde als der Beklagten sei nach der Kommentierung von Niesel zum SGB III § 37 b Rdnr. 13 hinreichend. Außerdem sei § 16 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) sinngemäß anzuwenden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 23. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2012 zu verurteilen, ihr bereits ab 26. Mai 2012 Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Berufung zuzulassen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Sie weist darauf hin, daß § 37 b SGB III seit dem 01. Januar 2009 durch § 38 SGB III ersetzt worden sei. In der Kommentierung von Niesel heiße es überdies nicht, daß die Arbeitsuchendmeldung bei anderen Behörden vorgenommen werden könne, sondern daß die Arbeitsuchendmeldung bei jeder Dienststelle der Agentur vorgenommen werden könne.
§ 16 SGB I gelte für Anträge auf Sozialleistungen, nicht hingegen für verfahrenserhebliche Tatsachenerklärungen wie z. B. die Arbeitsuchendmeldung. Die Klägerin ist im Verhandlungstermin angehört worden. Sie hat im Wesentlichen angegeben, sie könne sich nicht daran erinnern, den Hinweis in der Entgeltbescheinigung gelesen zu haben. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Streitakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist teilweise begründet.
Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide insoweit iSv § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, als ihr für die Zeit vom 26. Mai bis 01. Juni 2012 kein Arbeitslosengeld gewährt worden ist. Im Übrigen ist die Klage jedoch unbegründet.
Zu Recht hat die Beklagte nämlich eine Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung nach § 38 SGB III festgestellt. Nach § 38 SGB III sind Personen, deren Arbeitsverhältnis endet, verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor dessen Beendigung persönlich bei der Agentur arbeitsuchend zu melden. Dieser Pflicht ist die Klägerin nicht nachgekommen. Der Telefonanruf bei dem JobCenter reicht zur Fristwahrung nicht aus, weil die Arbeitsuchendmeldung bei einer Dienststelle der Agentur für Arbeit zu erfolgen hat (vgl. Brand in Brand SGB III 5. Auflage § 38 Rdnr. 13). § 16 SGB I ist für die Arbeitsuchendmeldung nicht anzuwenden, auch nicht analog, weil es sich dabei nicht um einen Antrag auf Sozialleistungen handelt. Darüber hinaus ist der Anruf bei Frau XXX vom JobCenter ohnehin nach dem Zeitpunkt einer rechtzeitigen Arbeitsuchendmeldung erfolgt. Eine Arbeitsuchendmeldung bei der Beklagten hätte bei dem Ende des Arbeitsverhältnisses am 25. Mai 2012 am 27. Februar 2012 erfolgen müssen, weil der 25. Februar 2012 ein Samstag war. Insoweit kann auch kein Herstellungsanspruch eingreifen (auf eine Arbeitsuchendmeldung ohnehin nicht anwendbar, vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 11. März 20004, B 13 RJ 16/03 R in BSGE 92, 241ff). Denn ein Hinweis von Frau XXX im Telefongespräch am 29. Februar 2012 auf die rechtzeitige Arbeitsuchendmeldung hätte nicht mehr zu einer rechtzeitigen Arbeitsuchendmeldung führen können, weil dieser Zeitpunkt bei dem Telefongespräch schon verstrichen war. Folge des Verstoßes gegen § 38 SGB III ohne wichtigen Grund ist nach § 144 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. Abs. 6 SGB III bzw. dem am 1. April 2012 in Kraft getretenem wortgleichen § 159 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. Abs. 6 SGB III eine Sperrzeit von einer Woche. Ein wichtiger Grund für die verspätete Arbeitsuchendmeldung ist nicht ersichtlich.
Zwar ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, daß eine Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung nur dann eintritt, wenn der Versicherte vorwerfbar und schuldhaft gehandelt hat (vgl. Hauck/Noftz/Rademacker § 38 SGB III Rdnr. 47, Brand in Brand Kommentar zum SGB III 5. Aufl. § 38 Rdnr. 11 und 12, BSG B 7/7a AL 56/06 R in SozR 4-4300 § 37 b Nr. 5). Dies ist hier jedoch der Fall. Durch die Entgeltbescheinigung vom 25. Oktober 2010 hatte die Klägerin Kenntnis von der Verpflichtung zur frühzeitigen Arbeitsuchendmeldung oder aber sie hätte davon Kenntnis haben können, wenn sie dieses Schreiben gelesen hätte. Im letzeren Fällen trifft sie Verschulden in Form von Fahrlässigkeit, daß sie sich nicht rechtzeitig arbeitsuchend gemeldet hat.
Demgemäß konnte die Klage hinsichtlich einer Sperrzeit von einer Woche als solche keinen Erfolg haben. Allerdings hatte die Klage Erfolg hinsichtlich der Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 26. Mai bis 01. Juni 2012. Denn der Leistungsanspruch der Klägerin ruht nicht in diesem Zeitraum.
Gemäß § 144 Abs. 2 SGB III bzw. gemäß dem ab 1. April 2012 geltenden wortgleichen § 159 Abs. 2 SGB III beginnt nämlich nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes die Sperrzeit jeweils mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet. Sperrzeitbegründendes Ereignis bei einer Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung ist die verspätete Arbeitsuchendmeldung. Da sich die Klägerin spätestens am 27. Februar 2012 arbeitsuchend hätte melden müssen, ist an diesem Tag das sperrzeitbegründende Ereignis eingetreten. Die Sperrzeit begann also am 28. April 2012 und lief nach einer Woche ab. Ein Ruhen des Arbeitslosengeldanspruches ab 26. Mai 2012 konnte demnach nicht mehr eintreten (vgl. Lüdtke in LPK zum SGB III 1. Aufl. § 144 Rdnr. 46, Voelzke NZS 2005, 281, 282).
Die Kammer vermag ebenso wie die 22. Kammer des Sozialgerichts Dortmund (vgl. Urteil S 22 AL 1146/10) der teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung (Eicher/Schlegel/Böttiger SGB III-Kommentar § 38 Rdnr. 100, Niesel/Brand/Karmanski SGB III-Kommentar 5. Auflage § 144 Rdnr. 151) und den Entscheidungen des 16. Senats des Landessozialgerichts Essen (L16 AL 139/11, L 16 AL 51/11), daß eine Sperrzeit in einem solchen Fall erst mit Beginn des Arbeitslosengeldanspruchs eintritt, nicht zu folgen.
Die Begründung dieser Meinung beruht im Wesentlichen darauf, daß es nicht sein dürfe, daß ein Versicherter trotz verspäteter Arbeitsuchendmeldung keine Sanktion erfahre.
Dies ist zum einem so nicht zutreffend. Denn wenn ein Versicherter seinen Arbeitslosengeldanspruch voll ausschöpft, tritt die neben dem Ruhen des Leistungsanspruches zweite mit einer Sperrzeit verbundene Sanktion, nämlich die Minderung der Anspruchsdauer, ein.
Zum anderen wird dadurch der Wortlaut des Gesetzes zum Nachteil des Versicherten und Leistungsbeziehers ausgelegt. Dies verbietet sich nach Auffassung der Kammer im Hinblick auf § 2 Abs. 2 SGB I im Sozialrecht. § 2 Abs. 2 SGB I stellt eine sich auch an die Sozialgerichte richtende Auslegungsregel dar, wonach die Vorschriften der Sozialgesetzbücher nicht zu Ungunsten der Leistungsbezieher ausgelegt werden dürfen (vgl. Urteile des BSG vom 29. Januar 2001, B 7 AL 16/00 R in BSGE 87, 262-269 und vom 14. Dezember 2006, B 1 KR 6/06 R in SozR 4-2500 § 44 Nr. 11).
Dem Umstand, daß der Gesetzgeber bei der Änderung des § 38 Abs. 1 SGB III die Vorstellung hatte, die Sperrzeit beginne erst mit Eintritt der Beschäftigungslosigkeit, also normalerweise mit Beginn des Arbeitslosengeldanspruches (vgl. Bundestagsdrucksache 16/10810 Seite 38), kann keine Bedeutung beigemessen werden. Der Wille des historischen Gesetzgebers kann für die Beurteilung der Sperrzeitlage nicht herangezogen werden. Denn er befaßte sich bei der Regelung von § 38 SGB III nicht mit der seit längerem bestehenden Vorschrift über den Beginn der Sperrzeit nach § 144 Abs. 2 SGB III.
Auch das Argument des 16. Senat des Landessozialgerichts Essen, eine Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung setze ersichtlich voraus, daß ein Leistungsanspruch oder Arbeitslosigkeit eingetreten sei, überzeugt die Kammer nicht. Es ist seit langem höchstrichterlich anerkannt, daß eine Sperrzeit ablaufen kann, ohne daß Arbeitslosigkeit oder gar ein Leistungsanspruch begonnen hat (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts 7 Rar 106/89 in SozR 3-4100 § 119 Nr.3 und B 7 AL 14/99 R in SozR 3-4100 § 119 Nr. 17). Dies liegt daran, daß der Gesetzgeber zur Verwaltungsvereinfachung bewußt von einer Bindung der Sperrzeit an Entstehung und Fortbestand eines Leistungsanspruchs abgesehen hat (vgl. Urteil des Bundessozialgericht B 7 AL 14/99 R in juris Rdnr. 24). Überdies gehört anders als bei einer Sperrzeit wegen Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses nach § 144 Abs.1 Nr.1 bzw. § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGB III der Eintritt der Arbeitslosigkeit gerade nicht zu den tatbestandlichen Voraussetzungen einer Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem teilweisen Klageerfolg Rechnung.
Die Kammer hat die Berufung zugelassen, weil die entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.
Quelle: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/sgs/sg_dortmund/j2014/NRWE_S_31_AL_573_12.html