Falschmeldungen in der Presse sind für Betroffene regelmäßig sehr belastend. Dies gilt insbesondere, wenn die Presse unrichtig über einen bloßen Verdacht berichtet. An eine zulässige
Verdachtsberichterstattung sind grundsätzlich besonders hohe Anforderungen zu stellen. Werden diese nicht eingehalten oder handelt es sich gar um eine Falschmeldung oder Vorverurteilung können
sich Betroffene erfolgreich gegen die Berichterstattung -wie Zeitungsberichte, Online-Artikel, Videoberichte, etc.- erwehren (LG Berlin, Einstweilige Verfügung vom 14.11.2022 - 27 0
438/22).
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Zum Sachverhalt: Die BILD-Zeitung (Axel-Springer-Presse) berichtete über unseren Mandanten, er sei verdächtig, seine Partnerin im Rahmen einer Fernsehshow gewürgt zu haben!
Unser Mandant nahm an einer Fernsehssendung, einem "Pärchen-TV-Format" teil. Es handelte sich um eine Reality-TV-Sendung. Zusammen mit anderen teilnehmenden Pärchen wurde unser Mandant rund um die Uhr von Kameras begleitet. Die Sendung musste unser Mandant allerdings vorzeitig verlassen, weil seine damalige Partnerin und er sich vor laufenden Kamaras im Streit trennten. Deswegen waren sie also nicht mehr geeignet, weiter an diesem "Pärchen-TV-Format" teilzunehmen. Über die Art und Weise des Ausscheidens wurde natürlich groß berichtet.
Aus "geheimer" Quelle, die nicht konkret offengelegt wurde, will die BILD-Zeitung erfahren haben, dass unser Mandant seine damalige Partnerin während des "Pärchen-TV-Formats" gewürgt haben solle, so dass Produktionsmitarbeiter einschreiten mussten. Dem ehemaligen Paar sei dann vorgeschlagen worden, diesen "Gewalt-Eklat" zu vertuschen und es nach einer "normalen" Trennung aussehen zulassen.
Unser Mandant bestreitet die Vorwürfe vehement. Keiner der Beteiligten, also weder Produktion, noch Sender und sogar die ehemalige Partnerin bestätigten diesen Würgevorfall. Im Gegenteil: sämtliche Beteiligten sagten -teilweise erst im Nachhinein-, dass dies nicht stimmt.
Dennoch berichtete die BILD-Zeitung hierüber und teilte mit, unser Mandant habe seine ehemalige Partnerin dort gewürgt, u.a.. Die BILD-Zeitungsartikel wurden im weiteren Verlauf immer "schlimmer" und es kamen immer neuere, vermeintliche Details an Tageslicht, die die BILD als "Insider" wissen will. Woher die BILD-Zeitung dies wissen will, ist und bleibt unklar. Sie beruft sich auf "Quellenschutz".
Dies nahm unser Mandant zum Anlass, uns zu beauftragten. Wir forderten die BILD-Zeitung zur Unterlassung auf. Diese änderte die Online-Zeitungsartikel ab, gab aber keine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab.
Wir beantragten beim Landgericht Berlin den Erlass einer einstweilige Verfügung.
Das Äußerungsrecht ist ein stark einzelfallbezoges Recht und verfügt -mehr als andere Rechtsgebiete- über keine starren Grenzen. Wie eine Äußerung zu verstehen ist, hängt schließlich sehr vom Leser ab. Je nach Gericht und sogar je nach Richterin oder Richter kann das Verständnis stark variieren. Das Verständnis ist jedoch oft entscheidend, die Rechtmäßigkeit einer Äußerung oder eines Presseberichtes zu beurteilen. Aus diesem Grund macht es im Äußerungsrecht fast immer Sinn, möglichst viele Aussagen einer gerichtlchen Überprüfung zu unterziehen, um einen möglichst großen Erfolg zu erzielen.
LG Berlin: Zu den Grenzen der Verdachtsberichtberichstattung mehrerer BILD-Zeitungsartikel!
Das Gericht arbeitete vortrefflich aus, dass grundsätzlich über einen Verdacht berichtet werden darf. Je "schlimmer" der Verdacht ist, desto höher sind jedoch die Sorgfaltspflichten der Presse. Es gilt:
LG Berlin: Zu den Grenzen der Verdachtsberichtberichstattung mehrerer BILD-Zeitungsartikel!
"Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist."
- zit. LG Berlin, Einstweilige Verfügung vom 14.11.2022 - 27 0 438/22
Vor diesem Hintergrund beurteilte das Gericht 3 von 5 angegriffenen Artikeln als unzulässig und gab unserem Mandanten überwiegend Recht. Es sah hierin eine nicht mehr hinzunehmende Vorverurteilung, welche unzulässig ist.
Den Beschluss des LG Berlin (Einstweilige Verfügung vom 14.11.2022 - 27 0 438/22) gibt es hier:
(Anmerkung: Diese Entscheidung des LG Berlin ist noch nicht rechtskräftig.)
Tenor:
Der Antragsgegnerin wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an der Geschäftsführung,
untersagt,
in Zusammenhang mit öffentlicher Berichterstattung in Bezug auf den Antragsteller zu behaupten und/oder behaupten zu lassen bzw. zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen, er habe im „XX Name einer Fernsehshow XX" seine ehemalige Partnerin, Frau XXX auf dem Weg zum XXX, wo es keiner der anderen Teilnehmer mitbekam, gewürgt, sodass Produktionsmitarbeiter eingreifen mussten, und was - entgegen der offiziellen, im Fernsehen vermittelten Version - tatsächlich zu seinem Ende des Verbleibs im „XX Name einer Fernsehshow XX " führte, wenn dies
a) wie in Zusammenhang mit der am XX.XX.2022 ab 13:40 Uhr unter der URL
https://www.bild.de/unterhaltung/leute/leute/XXX
durch die Antragsgegnerin veröffentlichten Berichterstattung mit dem Titel:
wie folgt geschieht:
XX Zitat von Äußerungen aus dem Artikel XX
b) wie in Zusammenhang mit der seit dem XX.XX.2022 ab 22:30 Uhr unter der· URL
https://www.bild.de/unterhaltung/tv/tv/XXX
durch die Antragsgegnerin veröffentlichten Berichterstattung mit dem Titel: wie folgt geschehen:
XX Zitat von Äußerungen aus dem Artikel XX
c) wie in Zusammenhang mit der am XX.XX.2022 ab 16:54 Uhr unter der URL
https://www.bild.de/bild-plus/unterhaltung/leute/leute/XXX
durch die Antragsgegnerin veröffentlichten Berichterstattung mit dem Titel: „XXX“ durch nachfolgende Äußerungen wie folgt geschieht:
XX Zitat von Äußerungen aus dem Artikel XX
2. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
3. Die Antragsgegner haben die Kosten des Verfahrens zu 3/5, der Antragsteller zu 2/5 zu tragen.
4. Der Verfahrenswert wird auf 50.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Das glaubhaft gemachte tatsächliche und rechtliche Vorbringen in der verbundenen Antragsschrift nebst Anlagen sowie dem verbundenen Schreiben vom XX.XX.2022 rechtfertigt den geltend gemachten Unterlassungsanspruch im tenorierten Umfang. Die Kammer hat bei der Abfassung des Tenors von dem ihr nach § 938 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht.
II.
Ergänzend ist auf folgendes hinzuweisen:
Sämtliche angegriffene Äußerungen vermitteln dem unbefangenen Durchschnittsleser den Verdacht, der Antragsteller hätte seine damalige Partnerin im XX Name einer Fernsehshow XX derart gewürgt, dass Produktionsmitarbeiter eingreifen mussten und dass dies der Grund für das Ausscheiden des Paares gewesen sei. Die Äußerungen sind an den Maßstäben der Verdachtsberichterstattung zu messen.
1.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH und des Bundesverfassungsgerichts darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt (vgl. BGH, Urteile vom 22. April 2008 - VI ZR 83/07, BGHZ 176, 175 Rn. 35 mwN; Urteil vom 16. Februar 2016 - VI ZR 367/15-, Rn. 24, juris m.w.N.).
Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2016- VI ZR 367/15 -, Rn. 24, juris, m.w.N.; vgl. auch BVerfGK 9, 317,322).
2.
Nach diesen Maßstäben steht dem Antragsteller der geltend gemachte Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Beiträge 3, 4 und 5 (vom XX.0XX.2022, 13:40 Uhr und 22:30 Uhr sowie vom XX.XX.2022, 16:54 Uhr) zu.
Die Beiträge sind vorverurteilend und genügen den Grundsätzen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung daher nicht. Allein die Verwendung der Formulierung „soll" steht einer Vorverurteilung nicht entgegen. Dies insbesondere, da der Verdacht als feststehend dargestellt wird. In dem Beitrag vom XX.XX.2022, 13:40 Uhr heißt es „XX Zitat von Äußerungen aus dem Artikel XX " und „XX Zitat von Äußerungen aus dem Artikel XX ", womit für den unbefangenen Durchschnittsleser unmissverständlich feststeht, dass es zu einem Gewaltausbruch bzw. Würgeangriff gekommen ist. Auch durch die Formulierung „XX Zitat von Äußerungen aus dem Artikel XX " im Beitrag vom XX.XX.2022, 22:30 Uhr muss der unbefangene Durchschnittsleser klar erkennen, dass es eine entsprechende Szene, nämlich dass der Antragsteller seine Freundin vor laufender Kamera derart gewürgt hat, dass die Produktionsmitarbeiter einschreiten mussten, tatsächlich stattgefunden hat, da diese anderenfalls nicht herausgeschnitten werden könnte. Gleiches gilt für die Formulierung „BILD weiß: XXX“.
3.
Hinsichtlich der Beiträge vom XX.XX.2022, 20:11 Uhr und vom XX.XX.2022, 17:15 Uhr steht dem Antragsteller der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu.
Bei den Beiträgen handelt es sich um zulässige Verdachtsberichterstattungen, die nicht vorverurteilend sind. Dies insbesondere, da sowohl das Dementi des Antragstellers „XX Zitat von Äußerungen aus dem Artikel XX" sowie „XX Zitat von Äußerungen aus dem Artikel XX" als auch das des Senders „Da ist nichts dran" in den Beitrag aufgenommen wurde und die Vorwürfe nicht als feststehend dargestellt werden.
Die vorverurteilenden Elemente aus den Beiträgen 3, 4 und 5 sind auch nicht - wie der Antragsteller meint - prägend für das Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers der Beiträge 1 und 2. Ein solches Verständnis wird insbesondere nicht über eine Verlinkung in den Beiträgen 3 - 5 auf die Beiträge 1 und 2 erreicht. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn die Beiträge 1 und 2 auf die folgenden vorverurteilenden Beiträge verlinken würden und sich somit deren Inhalt ebenfalls zu eigen machen würden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf§ 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Die Entscheidung als Druckversion gibt es hier:
(Anmerkung: Die vorbezeichnete Entscheidung ist anonymisiert, um die Prozessbeteiligten unkenntlich zu machen. Sie ist nicht rechtskräftig.)
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